Tanzen wie im Mittelalter: Der Neidhart Festsaal – Wiens ältester Tanzsaal

Wien ist weltberühmt für Walzer, Mozart und die Oper. Aber wusstest du, dass hier schon 600 Jahre früher getanzt, gesungen und gefeiert wurde? Mitten in der Innenstadt, hinter der unscheinbaren Fassade eines Bürgerhauses in der Tuchlauben, verbirgt sich ein Ort, der so gar nicht nach Mittelalterstaub klingt: der Neidhart Festsaal, Wiens ältester erhaltener Tanzsaal.

Ein Tanzsaal mit Geheimnissen 🕺🏼💃🏼

Die Geschichte beginnt fast wie in einem Krimi. Ende der 1970er Jahre renovierte man eine Wohnung in der Tuchlauben und stieß auf farbenfrohe Wandmalereien aus dem frühen 15. Jahrhundert. Was damals ans Licht kam, war eine kulturhistorische Sensation: die ältesten profanen Wandmalereien Wiens, über 15 Meter lang, voll mit Szenen von Tanz, Festen und ziemlich ausgelassenen Bauern.

Eigentlich war es der private Fest- und Tanzsaal des reichen Tuchhändlers Michel Menschein, der um 1400 zu den angesehensten Bürgern Wiens gehörte. Er stammte vermutlich aus der Steiermark, stieg in der Stadt rasch zum Mitglied des Stadtrats auf und machte im lukrativen Tuchhandel ein Vermögen. Seine prachtvollen Häuser in der Tuchlauben – damals so etwas wie die „Prachtstraße“ der Textilhändler – dienten nicht nur als Wohnsitze, sondern auch als repräsentative Kulisse für Gäste.

Und was wäre beeindruckender gewesen, als sie in einem Raum mit einer riesigen Bildergeschichte zu empfangen, die Liebe, Lust und Laster gleich an die Wände brachte?

Neidhart – der Popstar des Mittelalters 🪩

Description
Neidhart Festsaal, Detailansicht | Foto: Lisa Rastl, Wien Museum

Die Darstellungen basieren auf den Liedern des Minnesängers Neidhart von Reuenthal (ca. 1180–1240). Man könnte sagen: ein mittelalterlicher Entertainer, dessen Texte nicht nur von Liebe und Festen handelten, sondern auch mit einem Augenzwinkern das gesellschaftliche Miteinander aufs Korn nahmen. Besonders beliebt: seine Späße über die „Dörper“ – also Bauern, die er als derb und grob darstellte.

Neidharts Witz war so langlebig, dass noch 100 Jahre nach seinem Tod ein „Neidhart Fuchs“ am Wiener Hof seine Lieder weitertrug. Und ab dem 14. Jahrhundert wurden sogar Neidhartspiele inszeniert – bunte Theateraufführungen mit Musik, Tanz und Schabernack, die man sich wie eine mittelalterliche Mischung aus Dorffest, Kabarett und Musical vorstellen kann.

Kurz gesagt: Neidhart war kein ernster Minnesänger im klassischen Sinne, sondern der Superstar der mittelalterlichen Unterhaltungskultur.

Feiern, Mode und jede Menge Streiche 🥳

Die Malereien im Neidhart Festsaal sind bunt, lebendig und überraschend nahbar. Sie zeigen Spiele, Musik, Tanz und sogar modische Trends der damaligen Zeit. Besonders spannend: der Kontrast zwischen den feinen höfischen Jugendlichen und den Bauern, die mit groben Späßen für Lacher sorgen.
Man fühlt sich fast wie in einem mittelalterlichen Comicstrip – nur eben auf Putz gemalt. Kein Wunder, dass der Saal als einzigartiges Fenster in das Alltagsleben der Wiener Gesellschaft um 1400 gilt.

Heute erleben 🎨

Die Restaurierung war ein Glücksfall. Seit 2019 wird der Festsaal vom Wien Museum als eigene Ausstellung präsentiert – mit frischem Konzept und vielen interaktiven Möglichkeiten. Besucher:innen können nicht nur die Wandmalereien betrachten, sondern auch mittelalterliche Alltagsgegenstände sehen, anprobieren oder sogar anfassen.

Description
Neidhart Festsaal | Foto: Lisa Rastl, Wien Museum

Ein Tanz durch die Jahrhunderte

Wo heute Besucher:innen durch die Ausstellung schlendern, haben vor 600 Jahren schon Gäste gelacht, getanzt und den neuesten Klatsch besprochen. Vielleicht hat man auch ein Gläschen zu viel erwischt – manche der dargestellten Szenen deuten jedenfalls darauf hin, dass es bei den Festen ziemlich ausgelassen zuging.
Der Neidhart Festsaal zeigt: Wien war schon lange vor Mozart, Strauss und Falco eine Stadt voller Musik, Tanz und Geschichten. Wer also glaubt, das Wiener Lebensgefühl beginne erst im 19. Jahrhundert mit dem Walzer, sollte unbedingt einen Blick in die Tuchlauben 19 werfen.

 

Quellenangabe

Autor:in
Photo Elsa Aigner
Tags
Wien tanzgeschichte mittelalter
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